Martin Amanshauser

Wilde gute Hoffnung

Klippschleifer baden in der Sonne, Feinbusch gedeiht, und im Zentrum findet man das merkwürdige Café Mozart – Kapstadt hat seine eigene Natur.

District Six ist nicht mehr da. Am 11. Februar 1966 war das quirlige Innenstadt-Viertel mit unterschiedlichen Kulturen, von Schwarzen über muslimische Kapmalaien bis zu weißen Afrikaans und Indern, offiziell zum „Gebiet für Weiße“ erklärt worden. Der Baulöwen warteten schon sehnsüchtig. Der Totalabriss begann spät und dauerte unerwartet lange. Die Bulldozer zerstörten trotzdem Haus um Haus. Doch schon während der Demolierung (1968-1982) verlief für die Demolierer alles recht ungünstig. Am Ende war diese Toplage Kapstadts zwar gesäubert, an die 70.000 Menschen hatten ihre Heimat verloren. Doch große Teile der weißen Oberschicht zogen nicht mit. Niemand wollte dorthin, wo District Six gewesen war. Die Investoren verliefen sich. Heute zeugen offene Felder und dreckige Wiesen mitten in der Stadt von einer der unsinnigsten und aggressivsten „stadtplanerischen“ Maßnahmen der Geschichte.

Viele meinen, der Niederriss des Viertels hätte den Anfang vom Ende des Apartheid-Regimes markiert. Zeitzeuge Noor Ebrahim arbeitet heute in der Buchhandlung des District-Six-Museums, in dem Straßenschilder und sonstiges Originalmaterial das verschwundene Viertel wiederaufleben lassen: „Dieses Buch habe ich selbst geschrieben“, erklärt der Mann, dessen Vorfahren aus Bombay und Schottland kommen, eifrig: „My Life in District Six.“ Noor erzählt gerne über jene Jahre, in denen die Bewohner bezweifelten, dass die Regierung tatsächlich alles abreißen würde. „Es war für uns unvorstellbar. Aber es geschah.“ Gegenwärtig wird versucht, einigen ehemaligen Bewohnern ihr Land wieder zurückzugeben. „Natürlich möchte ich in den District zurückziehen“, sagt Noor, „doch es dauert, denn die Regierung arbeitet maßlos langsam.“

Und der Rest? Kapstadt (Capetown oder Kaapstad, 3,4 Millionen Einwohner) ist nach dem Ende der Apartheid eine der spektakulärsten Städte Afrikas. Dabei zieht keine Kathedrale, kein Fluss und kein Turm alle Aufmerksamkeit auf sich – sondern in erster Linie die Natur, personifiziert von drei Erhebungen, zwischen die das Urbane zwangsläufig idyllisch hineinwächst: Signal Hill, sanfter Hügelrücken, einst Signalhügel für die Schiffe, Lion´s Head, ein zuckerhutartiger Gupf, der bei Vollmond von den Massen bestiegen wird, und das Wahrzeichen, der flache Table Mountain oder Tafelberg, über tausend Meter hoch und per steiler, stützenloser Seilbahn mit Drehpattform zu befahren.

Das Bergmassiv gehört zu den meistbestiegenen der Welt, doch Vorsicht: „You can´t trust the weather in Capetown.“ Wenn der Nebel in der keineswegs hochalpinen Landschaft fällt, geraten unvorsichtige Wanderer immer wieder in Bergnot. Verblüffend schnell sammelt sich das weiße „Tischtuch“ auf den Felsen und verbirgt den berühmten Ausblick.

Ehe sich die Seilbahnleute oben verlaufen, kriegt jeder seinen Anteil internationalen Tourismus ab. Ein Deutsches Ehepaar streitet. Sie, die das Kind trägt, quängelt um eine Pause. Er: „Aber 15.000 andere Frauen waren heute hier oben!“ Sie: „Was haben die denn damit zu tun?“ Er: „Die haben alle geschwitzt!“ Ein Schweizer filmt Camp Bay, den Strand der Schönen und Reichen, und kommentiert seien Aufnahme mit Moderatorenstimme: „Ckämps Bay im Gägäliecht.“ Vom Tafelberg aus wirkt Kapstadt wie eine prächtige, aber gemütliche Küstenstadt. Freilich verstecken sich die Townships, aufgrund ihrer Lage in der Ebene „Cape Flats“. Eine solche Millionenstadt in der Stadt heißt Khayelishta, was „Neue Heimat“ bedeutet.

Sonnenbad im Fynbos. Den Tafelberg überzieht Fynbos, auf den ersten Blick eine Mischung aus Süd-Island und Griechenland, bei genauerer Betrachtung eine Vegetation von maximaler Biodiversität: 8.500 Pflanzen, darunter der Protea-Strauch, Südafrikas Nationalblume. Dort oben schließen die Twelve Apostles an, die in Wirklichkeit gar nicht zwölf sind, sondern achtzehn, je nachdem, welche der Formationen aus Quarzsandstein, die schroff über dem Naturschutzgebiet liegen, nun als Apostel gelten und welche nicht. Es handelt sich um die Hinterseite des Tafelbergs bzw dessen Fortsetzung in Richtung Kap. Die Fynbos-Vegetation fällt tief zum Meer hinab, wo trotz strikten Bauverbots ein einzelnes weißes Gebäude steht: Das Twelve Apostles Hotel and Spa verdankt seine fabelhafte Lage der Tatsache, früher ein Bauernhof gewesen zu sein. Der ideale Ort für Sonnenuntergänge, oder für ein Springbockfilet im preisgekrönten Azure Restaurant mit seiner „Cape-Fusion-Küche“.

Spaziergänger sehen auf den Wanderwegen rund um das Twelve Apostels Kolonien von mehreren Dutzend Rock Dazzies (Klippschliefer, Hyrax) beim Sonnenbad. Quasi eine Mischung zwischen Meerschweinchen und Murmeltier, sind sie in zoologischer Hinsicht der nächste Verwandte des Elefanten. Nachts in den Felsspalten senken sie die Körpertemperatur, deshalb ihre Sonnenliebe. Wer Glück hat, hört ihr Alarmsystem, ein hohes Trillern. Ihre „Sprache“ umfasst mehr als 20 Laute, die Dazzies singen ihre eigenen Songs, vor allem aus Anlockungsgründen bei Reproduktionswunsch (siehe menschliches Verhalten, Robbie Williams u.a.).

Kapstadt vibriert. Es ist nicht nur der sprichwörtliche Wind, der plötzlich aufkommt und Bäume schief bläst! Ob an der Mutter aller Waterfronten und dem innerstädtischen Atlantic Seaboard, wo die Quadratmeterpreise höher sind als sonstwo in Afrika, oder Bo-Kaap, dem muslimischen Viertel am Fuß des Signal Hill – Capetown ist Tag und Nacht in Bewegung. Hauptschlagader der Innenstadt: die Long Street. Von Skateboard-Läden („the infinite search for cool“) über Sportbedarf („Abseil Africa – for the slightly insane“) bis zum notorischen Holzgiraffen-Vertrieb oder Mr. Pickwick´s Burgerecke herrschen die unabhängigen Läden vor. Dazwischen wirkt die zweihundert Jahre alte Palm Tree Mosque hinter der einzigen Palme, die sich gehalten hat, winzig. An der Ecke zu Church Street das etwas schnuckelig geratene Café Mozart, mit seiner eigenen Interpretation des kolonialen „High Tea“: eine Teekanne in Gartenzwerg-Stil. Dazu ein gutes Salatbuffet. Die beste Boerewoers, Wurst der Buren, findet man ebenfalls in der Long Street bei Mohamads Wurststand. Sie ähnelt dem österreichischen Klobassenformat kaum, ist länger, dünner und eingerollt wie der Schwanz eines Hündchens.

Steile Küsten, schaumige Wellen. Von der Mautstraße Chapman´s Peak Drive bieten sich die dramatischsten Blicke auf den Atlantik – bei der Einfahrt in die Kap-Halbinsel. Kopf einziehen, Felsschlag! Drüben, am weißen Strand von Scarborough können Walfontänen spritzen. Gegenüber am Indischen Ozean, nicht weit von Simon´s Town, lebt eine Kolonie der hochgefährdeten Brillenpinguine (auch Afrikanischer Pinguin, auf Afrikaans Brilpikkewyn) zwischen den Felsen, die an neugierige Besucher auf dem Boardwalk gewöhnt sind. Mit Geduld brüten sie im Sand ihre Eier aus und pflegen dabei ihre legendär monogam-treuen Zweierbeziehungen. Wer Glück hat, sieht sie Schnabelwetzen.

Nächste Station ist der südlichste Nationalpark, die Windstärke nimmt zu. Zum ersten Mal benannten die portugiesischen Seefahrer das „Cabo da Boa Esperança“, bei uns bis vor 150 Jahren vornehmlich unter der Bezeichnung „Vorgebirge der Guten Hoffnung“ bekannt. Es trägt in seinem Namen die Hoffnung auf das südliche Ende Afrikas. Immerhin ist das Kap der südwestlichste Punkt, wie man auch einem Holzschild mit Besucherschlange entnehmen kann. Heutzutage stehen da vor allem Chinesen. Sie benützen auch gerne die Funicularbahn, beinahe bis zum Leuchtturm (1860-1919) auf 249 Meter. Oben ein Weltrichtungsbaum: Aufsehen erregt „Beijing 12.933 Kilometer“, ideales Fotomotiv.

Das Windsausen, das gischtige Meer! Man kann nachvollziehen, wie die verwirrten portugiesischen Seefahrer fluchten angesichts des höllischen Sturms an der paradiesischen Küste. Das „Kap der Stürme“ zu umsegeln erfordert Geschick, eine ganze Reihe von Wracks säumen – perfekt für Taucher – die Küste. Der Leuchtturm war nur so kurz in Betrieb, weil er sich als untauglich erwies: zu oft Nebel. Nach dem Sinken des portugiesischen Linienschiffs „Lusitania“, 1911 auf Bellows Rock gelaufen, baute man unten am Dias-Punkt (87 Meter Höhe) einen effizienteren Leuchtturm. Doch Achtung, jetzt kommen die Paviane! Es strengstes Fütterungsverbot, um die Herden nicht zahm und aggressiv zu machen. Hat ein Pavian einmal am Tisch gesessen, wird er es wieder versuchen.

Safari Light. Südafrikanische Tiere gibt es nicht nur im Kruger. Interessante Wildnisse sind von Kaptstadt in zwei Stunden erreichbar, zum Beispiel die Zederberge, dem weltweit einzigen Anbaugebiet für Rooiboistee. Genau genommen ist Rooibos kein Tee, sondern eine Hülsenfrucht, ursprünglich medizinischer Natur. Wer auf das ganz große Game verzichten kann, wer statt Elefant, Nashorn und Löwe gerne mit Springbock, Zebra und Gnu vorlieb nimmt (und mit Felsmalereien der nomadischen San-Buschmänner, einem enormen Freiluft-Museum), fährt in die nahe liegende „Bushmans Kloof“. Die Kolonialstil-Lodge liegt in völliger Ruhe und Abgeschiedenheit und bietet Safari light mit kulturhistorischen Werten zwischen roten Felsen.